Lutz-Werner Hesse · Komponist


Rezensionen 2020 bis heute

Der Einsiedler

Motette auf einen Text von Joseph von Eichendorff für vier- bis siebenstimmigen Chor a cappella op. 80

Das Lied „Der Einsiedler“ von Hesse faszinierte durch das wie selbstverständliche Spiel mit Konsonanzen und Dissonanzen; herrlich die farbigen Fermaten und die sich aufbauende strahlende Schlusskadenz.

Michael Kristahn, Westdeutsche Zeitung, Wuppertal, 17. April 2023

Rezension der CD „Ich habe Dich gewählt …“

Symphonisches Gedicht Nr. 2 auf Texte von Else Lasker-Schüler für Mezzosopran, Sprechstimme, Chor und großes Orchester

Diese beiden Liveeinspielungen mit wenigen unterdrückten Hustern, viel dramaturgischer Spannung und den großartig auf­ge­legten Orches­tern gefällt durch Qualität und Leben­dig­keit. Zumal derzeit echte Konzerte in großer Besetzung kaum auf übliche Art möglich sind, suggerieren die hier vor­liegen­den Auf­nahmen die lang vermisste Konzert­atmosphäre.

Den Anfang macht der Zyklus Ich habe dich gewählt … nach Texten von Else Lasker-Schüler. Komponist Lutz-Werner Hesse verwebt Spätromantik mit gemäßigter Postmoderne und lässt so jeden Satz mit schier unerschöpflicher Dramatik ertönen. Dabei wird es musikalisch nie akademisch, denn Hesses Musik ist voller Kraft und Farbigkeit, für Bühne und Publikum konzipiert. Iris Marie Sojer (Mezzosopran) meistert ihre Partie grandios und wohl artikulierend. Als strahlende Solistin schwebt sie über dem Sinfonieorchester Wuppertal (Leitung Julia Jones), dem Opernchor der Wuppertaler Bühnen und die verstärkenden Amici del canto.

Sprecher Thomas Braus deklamiert zu Beginn, a cappella mit dramatischen Pauken am Ende, ein Gedicht von Lasker-Schüler („Prolog“). Sanft kommt der zweite Satz („Das Lied meines Lebens“) daher, dann startet mit voll­tönendem, kurzen Fagott­solo der dritte Satz („Vollmond“), von Sojers Mezzo­sopran mit der vollen Süße der Spät­romantik vorge­tragen, assistiert von einer eleganten Oboe. Auch die Chöre dürfen wieder mit warmen Klang ihre Stimmen im nicht allzu polyfonen Satz ertönen lassen. Der vierte Satz („Ich liebe dich“) startet mit Sechzehntelketten, die nie ganz ver­schwin­den. Blech und Orgel sorgen in den letzten Takten für recht aufgeregtes, aber positives Treiben. Durch frisch klingende Bläserakkorde von allzu großer Süßlich­keit befreit, starten Mezzo­sopran und Chor nach spät­roman­tischer Einleitung der Streicher in den sanft dahin fließenden Satz „Ich habe dich gewählt …“, dem ein „Tanzlied“ folgt. Hier spielt Hesse mit der Dramatik einer großen, sehr unter­halt­samen Film­musik. Ein Englisch­horn-Solo beginnt den siebten Satz („Gebet“), Mezzo­sopran und Chöre setzen die schlichte Melodik der Ver­to­nung anschließend sehr gut um. Der „Epilog“ beendet mit großen Akkord­blöcken und mächtiger Dynamik (und ruhi­gem, langen Mittel­teil) den Zyklus.

Infinite Landscape. Two orchestral pictures op. 44

Bunte Klangmalerei, weniger Süße und einige Ecken weist Infinite Landscape. Two orchestral pictures op. 44 auf. Live einge­spielt vom Phil­harmoni­schen Orchester Bremer­haven (Leitung Marc Niemann) bohrt sich vor allem der zweite, weitaus kürzere Satz (Vivace) mit galoppie­render Rhythmik und hübschen melo­dischen Partikeln auf angenehme Art ins Ohr. Der längere erste Satz (Lento solenne, miste­rioso) spielt mit Klängen und melodiösen Einfällen, unterhält auf frische Art und zeigt, wie bunt die virtuose Klang­palette des Kompo­nisten Hesse ist.

Heike Eickhoff, erschienen in: Das Orchester, 03/ 21 Seite 76

Quintett für Horn, zwei Violinen, Viola und Violoncello op. 85 (2020)

Nach der Pause erzählte Lutz-Werner Hesse die Geschichte des Werkes der zweiten Uraufführung. Er hatte 2019 von Detlef Muthmann einen Kompositions­auftrag für ein Stück für Blasinstrument und Streichquartett erhalten. Das sollte in einem Konzert der Kammer­musikreihe urauf­geführt werden. Der Komponist entschied sich für das Horn „Es ist mein Instrument. Mit diesem Blas­instrument kenne ich mich am besten aus“.

Er behandelte das Horn hier durchaus in der Aura und Tradition des 19. Jahrhunderts, hatte es in der Romantik doch einen hohen Stellenwert, obwohl es selten kammer­musika­lisch eingesetzt wurde. Für diese Besetzung gibt es seit Mozart nur wenige Stücke. Im kurzen quasi improvi­sierenden Prolog stellt das solistische Horn vom tiefen G bis zum hohen b nach langen Quinten seinen Tonumfang in ruhigen ersten Tönen bei noch unbestimmtem Takt zusammen.

Erst das Streich­quartett findet dann zum ungewöhn­lichen, schwankendem 7/8 Takt. Die Mittelstimmen liefern durch­laufende Sechzehntel-Terzen über einem Ostinato des Violon­cellos, welches viel später mit schwankendem Rhythmus wieder­kehrt. Erste Violine und Horn beginnen einen Zwiegesang, später cantabile übernommen von der sonoren Bratsche und endlich dem Violon­cello. Fugato, Elemente von Kontra­punkt Nach Ende der Horn­kantilene ergreifen nach und nach die Sechzehntel das ganze Streich­quartett, welche accelerando nach wüstem Absturz beim trillernden Cello in der Tiefe landen, zuletzt nach starkem Pizzi-Ritardando aller auf G-endet. Aus acht Sätzen besteht das ganze Werk, bringt Kantilenen, Fugato, Elemente des Kontra­punktes, also durch­aus konventio­nelle Musik­elemente. Im Zentrum steht ein „Lento miste­ri­oso“ mit merk­würdig-befremd­licher Stimmung: sechs Takte scharfen, geheimnisvollen Klangs im Pianissimo, wenn das Bogen-Tremolo unmittelbar auf dem Steg ausge­führt wird. Den anspruchsvollen, kanta­blen, technisch schwierigen Hornpart spielte Sybille Mahni souverän und mit großem Ausdruck. Das Quintett wirkt alles andere als atonal, ver­mittelt keinen Schock der Moderne, sondern eher nahezu volks­tümlichen Charakter.

Das Publikum zeigte sich mit starkem Applaus und Bravo­rufen für den Komponisten wie für die Ausführenden sehr angetan.

Johannes Vesper in: Musenblätter, 1. März 2022


Quintett für Horn, zwei Violinen, Viola und Violoncello op. 85 (2020)

Das beeindruckende einsätzige Stück …

Ausdrucksstark und in einer tollen Kombi­nation der Instru­mente changierte es zwischen Leichtig­keit, geheimnis- und kraftvoll. Das Schumann Quartett der Brüder Mark, Erik und Ken Schumann ergänzt durch den Bratschisten Veit Herten­stein, überzeugte auch hier, ebenso wie (die Hornistin) Mahni durch über­ragendes Können. Technisch präzise, traum­wandlerisch sicher ein absoluter Hör­genuss.

Bernadette Brutscheid, Westdeutsche Zeitung, 1. März 2022


Viertes Streichquartett mit Mezzosopransolo op. 33 „Hamlet-Quartett“

Iris Marie Sojer, Solistin an der Wupper­taler Oper, hatte einen starken Auftritt. Zusammen mit Annette von Hehn und Eva Högel (Violinen), Werner Dickel (Viola) und der ehe­mali­gen Dozentin Susanne Müller Hornbach (Cello) führte Sojer Hesses „Hamlöet-Quartett“ auf. Orientiert an der Form des vier­sätzigen Streich­quartetts evoziert die Kompo­sition aus dem Jahr 1999 die Haupt­figuren des Shakespeare’schen Dramas. Doch während der tragische Held und seine Gegen­spieler mit rein instru­mentalen Mitteln darge­stellt werden, ist das finale Mezzo­sopran-Solo Hamlets Gelieb­ter Ophelia gewidmet.

Neben der Inte­gration einer Gesangs­stimme sind es die schrillen Disso­nanzen in den Streichern, die das klassische Quartett-Format aufbrechen. Im Kopf­satz ließen die Musiker mit jähen Tempo­wechseln Hamlets Charakter ahnen, der zwischen Grübeleien und emotionalen Aus­brüchen schwankt. Eine Zuspitzung in jeder Hinsicht war der Auftritt der Königin, bei der sich die Violinen in geräusch­haften Tönen ergingen. Schnell attackierende Läufe ent­larv­ten geradezu die Figur des Claudius , König und Königsmörder in einer Person. In diesem Sinne stellte der Final­satz einen größt­möglichen Kontrast dar. Die Schilderung von Ophelias Tod … trug Sojer zunächst als rhythmisch präg­nantes Rezita­tiv vor. Den leichten, fast lyrischen Ton steigerte sie zu virtuosen Melismen.

Westdeutsche Zeitung Wuppertal, 26. Januar 2023